2. DIE SITZMEDITATION - Zazen
Zazen ist ein Intensivtraining für den gegenwärtigen Moment. Es schult Ihre Fähigkeit, den Moment vollständig zu erleben, ohne sich in Grübeleien zu verlieren. Sie lernen, im Alltag ganz aufzugehen in dem, was Sie gerade tun.
Wenn Sie kochen, dann kochen Sie – ohne nebenbei zu grübeln. Wenn Sie etwas planen, dann planen Sie – ohne von störenden Gedanken weggespült zu werden. Wenn Sie einfach nur im Garten sitzen, dann sitzen Sie einfach nur im Garten – ohne sich im Strom Ihrer Gedanken zu verlieren. Sie lernen, voll und ganz präsent zu sein.
Die hohe Intensität des Zazen rührt daher, dass es radikal minimalistisch ist. Beim Zazen gibt es nichts, das Ihnen hilft, sich von Ihren Gedanken abzulenken. Es gibt nur Stille, den Atemstrom und den Gedankenstrom. Wenn Sie lernen, in dieser Reduktion vollständig präsent zu sein – ohne sich von Ihren Gedanken forttragen zu lassen –, wird Ihnen das im Alltag umso leichter fallen.
Wortbedeutung Zazen
Das Wort Zazen stammt aus dem Japanischen und bedeutet wörtlich "Sitzmeditation" oder "Meditation im Sitzen". Das Z wird dabei weich ausgesprochen, wie das S im deutschen Wort "Sonne", also: "Sasenn" (Lautschrift: [za.zɛɴ]). Genauso verhält es sich mit dem Wort Zen – es wird "Senn" ausgesprochen (Lautschrift: [zɛɴ]).
Ein nach hinten geneigtes Becken führt oft dazu, dass der untere Rücken einsinkt und sich ein Rundrücken bildet. Gleichzeitig sollte das Becken aber nicht übertrieben stark nach vorne gekippt werden, da dies auf Dauer zu Verspannungen in der Lendenwirbelsäule führen kann.
Sitzen Sie möglichst auf der Vorderkante des Stuhls, sodass die Oberschenkel nicht vollständig aufliegen. Dadurch bleibt das Becken beweglich und kann sich frei in eine leichte Vorneigung einstellen. Sollte der Stuhl zu niedrig sein, sodass die Knie höher als das Becken liegen, kann das eine nach hinten gekippte Beckenhaltung begünstigen. In diesem Fall hilft es, ein festes Kissen unterzulegen, um das Becken leicht anzuheben.
Ihre Sitzhaltung sollte sich stabil, aber entspannt anfühlen. Wenn Sie mit der Zeit Verspannungen oder Schmerzen bemerken, überprüfen Sie Ihre Haltung und passen Sie sie gegebenenfalls an.
Traditionellerweise wird das Zazen auf einem Zafu (Meditationskissen) empfohlen. Wenn Sie sich ein solches Kissen zulegen möchten, kann es sinnvoll sein, wenn Sie sich für eins entscheiden, bei dem Sie die Füllmenge (z. B. bei Kapok- oder Dinkelfüllung) variieren können, um die Sitzhöhe individuell anzupassen. Ein abnehmbarer, waschbarer Bezug ist von Vorteil, falls Ihnen einmal versehentlich Currysauce auf das Kissen kleckert.
Ich persönlich übe mein tägliches Zazen gerne auch auf einem Zafu, bevorzuge jedoch die Seiza Sitzhaltung ohne Zafu oder Meditationsbänkchen, weil ich mich dadurch unabhängig von einem Gegenstand fühle, der zum Sitzen benötigt wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: Nehmen wir einmal an, ich klemme mir am Wochenende mein Zafu unter den Arm und erklimme den Himalaya, um auf dem Gipfel eine Runde zu meditieren, und auf dem Weg nach oben springt plötzlich ein magischer Minotaurus aus einem Gebüsch und verzaubert mein Zafu in eine Bratwurst. Wenn ich dann gelernt habe, ganz ohne Hilfsmittel im Seiza Sitz zu meditieren, ist der Tag gerettet - und ich habe obendrein eine leckere Bratwurst als Wegzehrung.
Beim Zazen wird traditionell durch die Nase geatmet, was mehrere Vorteile bietet. Die Nasenatmung fördert eine tiefere und gleichmäßigere Atmung, die den Parasympathikus aktiviert und so zu innerer Ruhe und Entspannung beiträgt. Zudem filtert, wärmt und befeuchtet die Nase die Atemluft, während die Mundatmung schnell zu einem trockenen Mund führt, was durch häufiges Schlucken die Meditation unterbrechen kann. Die Atmung durch die Nase sorgt außerdem für einen stabilen Atemrhythmus, wohingegen man durch den Mund oft unbewusst schneller oder unregelmäßiger atmet.
Dennoch gilt: Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht durch die Nase atmen kann, sollte nicht darauf verzichten zu meditieren – durch den Mund zu atmen ist in diesem Fall völlig in Ordnung und immer besser als gar nicht zu meditieren.
Es gibt viele Atemtechniken mit unterschiedlichen Zielen, wie die Bauchatmung im Yoga zur Entspannung, die Wechselatmung im Pranayama zur Harmonisierung von Körper und Geist oder die Mundatmung bei körperlicher Anstrengung zur schnellen Sauerstoffversorgung. Für das Zazen ist die Nasenatmung besonders geeignet, da sie den Körper entspannt hält, ohne abzulenken, und den Geist klärt, um im gegenwärtigen Moment zu verweilen.
Bei der Zen-Meditation bleibt Ihr Mund geschlossen und Sie atmen in Ruhe durch die Nase ein, und durch die Nase wieder aus.
Die Bauchatmung
Die Bauchatmung, auch Zwerchfellatmung genannt, bezeichnet eine Atmung in den Bauchraum, bei der sich beim Einatmen die Bauchdecke hebt und beim Ausatmen wieder senkt. Diese Technik wird in vielen Anleitungen durch die Nase ausgeführt, kann aber grundsätzlich auch durch den Mund erfolgen. Sie fördert Entspannung, reduziert Stress und verbessert die Sauerstoffversorgung.
Während in manchen Meditations-Anleitungen die Bauchatmung betont wird, hat sich in meiner Erfahrung gezeigt, dass der alleinige Fokus auf den Atemfluss in der Nase für viele Menschen angenehmer ist. Besonders bei nervösen oder unsicheren Personen kann die Bauchatmung zusätzlichen Stress oder Unbehagen erzeugen, wenn sie das Gefühl haben, sie nicht „richtig“ auszuführen. Die alleinige Fokussierung auf den Atemstrom in der Nase hingegen ist schlicht und unkompliziert, wodurch die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment erleichtert wird.
Wer die Bauchatmung jedoch ganz natürlich und ohne Anstrengung praktizieren kann, darf und sollte sie selbstverständlich nutzen – in diesem Fall ist sie ebenso sinnvoll und förderlich für die Meditation.
Hier können Sie bei Interesse die Bauchatmung lernen
Meditation mit einem Mantra
Statt des Atemzählens können Sie es auch mit einem Mantra versuchen. Mantras sind im traditionellen Zazen zwar nicht üblich, doch es gibt Menschen, die mit dieser Methode besonders gut klarkommen. Sie macht es besonders Anfängern leichter, im gegenwärtigen Moment zu bleiben, da die Worte oder Sätze eine Art „Anker“ bieten, der die Aufmerksamkeit immer wieder zurück zum Atem führt. Daher gibt es Zen-Meister, die das Meditieren mit Mantras befürworten.
Was ist überhaupt ein Mantra
Ein Mantra ist im Grunde nichts anderes als ein kurzer Satz, ein Wort oder sogar nur ein Laut, den man immer wieder wiederholt – entweder laut oder im Stillen. Der Ursprung liegt im alten Indien. Dort verstand man unter einem Mantra einen Klang, der den Geist zur Ruhe bringen oder eine bestimmte Wirkung entfalten sollte. Das Wort selbst stammt aus dem Sanskrit und setzt sich grob gesagt aus „manas“ (Geist) und „tra“ (Schutz, Werkzeug) zusammen – also etwa: ein Werkzeug, um den Geist zu schützen.
Das klingt erstmal ziemlich alt und fern. Aber man muss weder an Götter glauben noch Räucherstäbchen anzünden, um etwas mit einem Mantra anfangen zu können. Viele Menschen nutzen sie ganz einfach als Konzentrationshilfe – so wie andere sich beim Joggen innerlich motivieren („weiter, weiter, weiter“) oder beim Einschlafen ein beruhigendes Wort wiederholen.
Es gibt religiöse Mantras wie das bekannte „Om“, aber auch völlig neutrale wie „Einatmen – Ausatmen“. Manche wählen Sätze in ihrer Muttersprache („Ich bin ruhig“), andere bevorzugen Worte, deren Bedeutung sie gar nicht kennen – weil sie dann weniger ins Grübeln kommen.
Ob fremdsprachlich oder selbst ausgedacht – entscheidend ist nicht, woher das Mantra kommt, sondern ob es für Sie funktioniert.
Warum ein Mantra beim Meditieren helfen kann
Ein Mantra kann dabei helfen, den Geist zu bündeln. Statt dass die Gedanken ziellos in alle Richtungen ausschwirren, gibt es eine klare Linie, etwas, worauf man sich konzentrieren kann. Das kann für Anfänger genauso hilfreich sein wie für Menschen, die gerade eine unruhige Phase durchleben.
Das Prinzip ist simpel: Während Sie meditieren, wiederholen Sie innerlich ein bestimmtes Wort oder einen Satz. Dadurch wird der Geist beschäftigt – aber auf eine ruhige, strukturierte Weise. Das Mantra dient also nicht der Ablenkung, sondern im Gegenteil: Es verhindert, dass Sie sich in Gedanken verlieren. Es wirkt wie eine Art geistige Leitschiene.
Außerdem kann ein Mantra – je nachdem, welches Sie wählen – eine bestimmte innere Haltung stärken. Zum Beispiel Ruhe, Vertrauen oder Gleichmut. Wichtig ist dabei weniger, wie die Worte klingen, sondern was sie in Ihnen auslösen. Es geht nicht darum, sich etwas einzureden, sondern sich immer wieder daran zu erinnern, worauf Sie Ihre Aufmerksamkeit richten wollen.
Ein Mantra ersetzt keine Achtsamkeit, aber es kann sie unterstützen. Es ist wie eine kleine mentale Stütze – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Wie Sie ein Mantra finden, das zu Ihnen passt
Positiv formulieren – aber bitte nicht übertreiben
Manche Sätze wirken auf den ersten Blick gut, entpuppen sich aber beim näheren Hinfühlen als Stolpersteine. Ein klassisches Beispiel: „Ich habe keine Angst.“ Klingt entschlossen – aber das Gehirn hat so seine Eigenheiten. Es überhört gerne das „nicht“ und bleibt bei „Angst“ hängen. Und das kann den gegenteiligen Effekt haben.
Besser ist es, sich auf das zu konzentrieren, was Sie stattdessen erleben möchten. Zum Beispiel: „Ich bin ruhig.“ Oder „Ich fühle mich sicher.“ Das heißt nicht, dass man sich etwas vormachen soll. Es geht nicht um Selbsttäuschung, sondern um Ausrichtung.
Wenn Ihnen solche Sätze zu groß oder irgendwie unehrlich vorkommen, dann wählen Sie etwas Kleineres. Etwas, das sich natürlicher anfühlt. Zum Beispiel: „Ich darf zur Ruhe kommen.“ Oder: „Ich bin auf dem Weg.“ So ein Mantra muss kein Endzustand sein – es kann auch einfach eine freundliche Erinnerung sein, in welche Richtung Sie gehen möchten.
Beispiele für unterschiedliche Arten von Mantras
Es gibt unzählige Möglichkeiten – entscheidend ist nicht, wie „schön“ ein Mantra klingt, sondern ob es für Sie persönlich funktioniert.
Zielgerichtete Mantras:
– Ganz ruhig
– Ich ruhe in mir selbst
– Ich darf loslassen
– Ich bin hier
Haltungsfördernde Mantras:
– Gleichmut
– Klarheit
– Vertrauen
– Ich lasse sein, was ist
Neutrale Mantras:
– Einatmen – Ausatmen
– So’ham (Sanskrit, bedeutet etwa: „Ich bin das“)
– Om (Klangsilbe ohne direkte Übersetzung)
Probieren Sie aus, was Ihnen liegt. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Sie müssen nichts glauben und niemandem etwas beweisen. Wenn Sie merken, dass sich ein bestimmter Satz gut anfühlt – nicht unbedingt „großartig“, aber stimmig – dann ist das vermutlich schon der richtige.
Anwendungsbeispiel
Ich möchte Ihnen hier das Mantra "ganz ruhig" vorstellen. Es ist sehr einfach und hat einen natürlichen Klang. Bei der Meditation mit diesem Mantra denken Sie bei jedem Einatmen "ganz" und bei jedem Ausatmen "ruhig". Dehnen Sie dabei die Worte so lange aus, wie der Atemzug dauert, also beim Einatmen "gaaaaanz" und beim Ausatmen "ruuuuuuhig". Konzentrieren Sie sich dabei auf den Luftstrom in Ihrer Nase und auf das Mantra.
Wie beim Atemzählen können Sie die Worte gefühlt durch die Nase ein- und ausatmen, um eine stärkere Verbindung zwischen Bewusstsein und Atem herzustellen.
Ein Satz wie „ganz ruhig“ kann wie eine kleine Erinnerung wirken, sich nicht in Gedanken zu verlieren – sondern ruhig weiterzuatmen. Ob das Mantra tatsächlich zur inneren Ruhe beiträgt, ist individuell unterschiedlich – am besten, Sie probieren es einfach aus.
Schwierigkeiten mit Mantras – und wie man damit umgeht
Nicht jedes Mantra funktioniert auf Anhieb – und das ist völlig normal. Manchmal spricht einen der Satz nicht an. Oder er wirkt beim Wiederholen eher künstlich als hilfreich. Manche erleben sogar inneren Widerstand, zum Beispiel bei einem Satz wie „Ich bin stark“, wenn sie sich gerade schwach fühlen. Dann entsteht eher ein Gefühl von Widerspruch als von Klarheit.
Ein klassisches Beispiel: Ein Mantra wie „Ich bin glücklich“ kann ungewollt dazu führen, dass Sie sofort denken: „Aber ich bin doch gar nicht glücklich – und das hat Gründe.“ Und ehe Sie sich versehen, kreisen die Gedanken um alles, was nicht stimmt. Das Ziel, im Moment zu sein, rückt dabei in weite Ferne.
Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn Sie zu sehr auf die Wirkung eines Mantras fixiert sind. Ein Satz wie „ganz ruhig“ ist gut gemeint – aber wenn Sie sich ständig fragen, ob Sie jetzt schon ruhig genug sind, verlieren Sie ebenfalls den Moment aus dem Blick. Statt achtsam zu sein, horchen Sie ununterbrochen in sich hinein. Und wenn der gewünschte Zustand nicht eintritt, entsteht Frust. Das ist weder hilfreich noch nötig.
Wichtig ist: Das bedeutet nicht, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt – sondern nur, dass dieses Mantra gerade nicht zu Ihnen passt.
In solchen Fällen kann es helfen, das Mantra zu verändern oder einen ganz anderen Satz zu wählen – etwas, das sich natürlicher anfühlt. Oder Sie probieren ein neutrales Mantra wie das Atemzählen oder das einfache Mitdenken von „ein“ beim Einatmen und „aus“ beim Ausatmen. Solche schlichten Mantras sind nicht auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet – sie helfen einfach nur dabei, mit dem Geist bei der Sache zu bleiben: beim einzelnen Atemzug.
Ein Mantra ist kein Leistungsnachweis. Es geht nicht darum, etwas zu erreichen, sondern immer wieder zurückzukommen – zum Atem, zum Moment, zu sich selbst. Und wenn Sie merken, dass Ihr Mantra Sie mehr stresst als unterstützt, dürfen Sie es auch einfach weglassen. Die Stille ist genauso in Ordnung.
Mantra ja – positives Denken nein?
Ein Mantra ist nicht dasselbe wie positives Denken. Es geht nicht darum, sich die Welt schönzureden oder schlechte Gefühle einfach wegzureden. Im Zen geht es darum, die Dinge zu sehen, wie sie sind – ohne Verklärung, aber auch ohne Drama. Dazu gehört, dass man auch schwierige Gedanken und Gefühle wahrnimmt, statt sie zu verdrängen.
Ein positives Mantra kann hilfreich sein, um sich zu stabilisieren oder auszurichten – aber es sollte keine Schönfärberei werden. Wenn Sie sich zum Beispiel innerlich sagen: „Alles ist gut“, während Sie innerlich brodeln oder traurig sind, entsteht leicht ein Widerspruch. Und dieser kann mehr Stress erzeugen als Entlastung.
Positives Denken wird oft als Wundermittel verkauft – mit dem Versprechen, dass allein die richtige innere Haltung schon alles zum Guten wenden könne. Aber so einfach ist es nicht. Studien zeigen: Menschen, die grundsätzlich eher positiv denken, sind oft gesünder und resilienter. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass überzogene Erwartungen an das eigene Denken in die Frustration führen können – vor allem dann, wenn die Realität sich nicht daran hält.
Ein Mantra kann also eine Hilfe sein – aber es ersetzt nicht die Achtsamkeit. Es geht darum, den gegenwärtigen Moment bewusst zu erleben, nicht darum, ihn passend zu färben. Auch Schatten dürfen da sein.
Mantras im Alltag
Ein Mantra muss nicht nur auf dem Meditationskissen wirken. Wenn es Ihnen hilft, kann es auch im Alltag als eine Art innerer Anker dienen – ein kurzer Satz, der Sie immer wieder daran erinnert, wie Sie sich ausrichten möchten. Aber auch hier gilt: Nicht als Zwang, sondern als Möglichkeit.
Konzentration auf den Atem ist das Wesentliche
Egal, ob Sie sich für das minimalistische Betrachten den Atems entscheiden, für das Atemzählen oder für die Meditation mit einem Mantra, das Wesentliche der Zen-Meditation ist die Konzentration auf den Atemfluss.
In der Meditation lassen Sie den Drang los, ein Ziel erreichen zu müssen.
Sie sitzen einfach und spüren den Atem. Ohne Ziel, ohne Plan.
Es ist ganz normal, wenn dabei Gedanken an Ziele oder Erwartungen auftauchen.
Das passiert jedem.
Sie müssen diese Gedanken nicht loswerden oder bekämpfen.
Bemerken Sie sie einfach – und kehren Sie dann wieder ruhig zum Atem zurück.
Immer wieder. Ohne Eile.
Auch wenn wir während der Meditation unser Bewusstsein auf unseren Atem lenken, anstatt uns mit unseren Gedanken zu beschäftigen, möchte ich betonen, dass Denken nichts Schlechtes ist, das man verurteilen müsste. Denken zu können ist ein wesentlicher und wichtiger Aspekt des Menschseins. Es ist jedoch ein bedeutender Unterschied, ob uns unproduktive Gedanken willkürlich und ziellos wie eine Horde schreiender Affen ("Gedankenaffen") im Kopf herumturnen und uns ständig von dem ablenken, was für uns momentan relevant ist, oder ob wir bewusst, absichtsvoll und zielgerichtet denken.
Es geht nicht darum, Denken zu unterdrücken oder davor davonzulaufen, sondern darum, Ordnung in den Kopf zu bringen und Raum zu schaffen – sowohl für wirklich konstruktives Denken als auch für das einfache Sein im gegenwärtigen Moment.
Mit Meditation können Sie Ihre Gedankenaffen zähmen. Mit "zähmen" ist gemeint, dass die Affen nicht hinausgeworfen werden, sondern Ihr Gehirn weiterhin Gedanken produziert, das Denken jedoch geordneter, ruhiger und produktiver abläuft. Meditation ist eine ausgezeichnete Methode, um einen Zustand der Ruhe und Klarheit im Geist zu kultivieren.
Du bist nicht deine Gedanken
Ebenso wie der Satz "Du bist, was du denkst" wahr ist, ist auch der Satz "Du bist nicht deine Gedanken" wahr. Diese Leitsätze widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander.
Wenn wir verstehen, dass wir nicht unsere Gedanken sind, können wir eine gesunde Distanz zu ihnen wahren. Diese Distanz ermöglicht es uns, Gedanken wertfrei zu betrachten, anstatt uns mit ihnen zu identifizieren.
Um dies zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick darauf, was Gedanken eigentlich sind und wie sie entstehen. Gedanken sind - wie bereits erwähnt - das Ergebnis elektrischer Impulse und biochemischer Prozesse im Gehirn. Diese Prozesse sind wiederum Reaktionen auf Reize aus unserer Umwelt, kombiniert mit genetischen Prägungen und individuellen Erfahrungen. Gedanken sind somit nicht losgelöst oder spontan im metaphysischen Sinn, sondern ein Echo dessen, was wir gegenwärtig wahrnehmen und durch vergangene Wahrnehmungen bereits gespeichert haben.
Man könnte sagen: Der Mensch ist wie ein Tal. Ein Umwelteinfluss - ein äußeres oder inneres Ereignis - ist der Ruf, der in dieses Tal hineinruft. Der Gedanke ist das Echo, das zurückschallt. Je nach Form und Beschaffenheit des Tals - unserer individuellen genetischen Prägung und Erfahrung - klingt dieses Echo unterschiedlich.
Spontane oder kreative Gedanken erscheinen oft neu und einzigartig, doch auch sie entstehen auf Basis bereits vorhandener Erfahrungen und gespeicherter Konzepte. Die Hirnforschung zeigt, dass kreative Ideen nicht aus dem Nichts entstehen, sondern durch unbewusste Rekombination und neue Verknüpfungen bekannter Informationen. Der Neurowissenschaftler Marcus Raichle beschreibt das sogenannte „Default Mode Network“ (DMN) – ein Netzwerk im Gehirn, das aktiv ist, wenn wir nicht gezielt an etwas arbeiten, sondern unsere Gedanken frei fließen lassen. Dieses Netzwerk spielt eine Rolle bei der Verknüpfung und Neuanordnung von Informationen, insbesondere in Verbindung mit anderen Hirnarealen. Oft treten kreative Einfälle in Momenten der Ruhe oder Muße auf – genau deshalb kommen uns die besten Ideen häufig unter der Dusche, beim Spazierengehen oder in anderen entspannten Situationen, in denen das Gehirn unbewusst arbeitet.
Doch Gedanken sind nicht nur kreative Verknüpfungen bereits vorhandener Informationen, sondern auch direkte Reaktionen auf das, was wir gerade erleben. Unsere aktuelle Wahrnehmung beeinflusst, welche Gedanken in einem bestimmten Moment entstehen.
Ein einfaches Beispiel: Sehen wir einen lustigen Film, entstehen in unserem Gehirn lustige Gedanken; sehen wir einen traurigen Film, entstehen traurige Gedanken.
Auch unser Wunsch, etwas zu tun, wird durch vorangegangene Eindrücke geformt. Ein Mensch, der Lokomotivführer werden möchte, hat in irgendeiner Form bereits Berührung mit diesem Thema gehabt – sei es durch eigene Erlebnisse, durch Erklärungen anderer oder durch Erzählungen in Medien. Ein Buschmann, der nie eine Lokomotive gesehen oder davon gehört hat, wird diesen Wunsch nicht entwickeln. Ebenso entstehen Erfindungen nicht aus dem Nichts, sondern weil unsere Umwelt bestimmte Prinzipien vormacht: Wer das Rad erfand, hatte zuvor Erfahrungen mit rollenden Objekten wie Steinen gemacht. Flugzeuge wurden inspiriert durch den Anblick von Vögeln.
In diesem Zusammenhang spricht man von Inspiration. Das Cambridge Dictionary definiert Inspiration als "eine Quelle oder ein Auslöser für eine Idee oder eine Handlung." Damit wird deutlich, dass Gedanken nicht isoliert entstehen, sondern durch äußere Einflüsse und bestehende Denkstrukturen angestoßen werden.
Gedanken werden auch durch Kommunikation geformt. Hören Menschen eine Rede, verarbeiten sie die Informationen je nach ihrem Vorwissen und ihren Erfahrungen unterschiedlich. Manche nehmen das Gehörte direkt an und haben künftig entsprechende Gedanken. Die Gedanken sind also von einem Kopf auf andere Köpfe übertragen worden.
Andere Zuhörer reagieren vielleicht kritisch, weil ihre bisherigen Erfahrungen und Meinungen im Widerspruch zum Gehörten stehen. Doch auch diese kritische Haltung ist eine Reaktion auf das Gehörte, verknüpft mit vorherigen Prägungen und Wertesystemen. Das bedeutet: Selbst wenn jemand einer Idee widerspricht, ist sein Widerspruch (der ja auch ein Gedanke ist) ebenfalls eine Folge eines Umweltreizes (die soeben gehörte Rede) in Kombination mit vergangenen Umweltreizen (meinungsbildende Eindrücke in der Vergangenheit). Vereinfacht ausgedrückt: Das Gehirn vergleicht die Informationen, die neu eingegeben werden, mit den Informationen, die in der bereits vergangenen Lebenszeit eingebeben wurden, und verarbeitet diese zu entsprechenden Gedankeninhalten.
Unsere Gedanken sind also kein autonomes Produkt unseres freien Willens, sondern lediglich ein Echo unserer gegenwärtigen und vergangenen Umwelt. Man könnte auch sagen: Wir denken nicht - wir werden gedacht. Wir können nur das denken, was von außen in uns hineingelangt. Wie ein Eintopf nur durch die Zutaten entsteht, die in ihn hineingegeben werden, so können auch unsere Gedanken nur aus den Informationen entstehen, die unser Gehirn aufgenommen und mithilfe von Informationen aus der Vergangenheit verarbeitet hat.
Daher müssen wir nicht alles glauben, was wir denken. Und wir müssen uns auch nicht zwangsläufig mit unseren Gedanken identifizieren. Was wir jedoch tun können und sollten, ist darauf zu achten, womit wir unser Denken speisen: Welche Lektüre wir wählen, welche Medien wir konsumieren und welche Gedankenmuster wir fördern. Denn obwohl wir nicht unsere Gedanken sind, beeinflusst das, was in unser Bewusstsein gelangt, unsere innere Welt – und letztlich auch unser Handeln.
Doch was sind wir, wenn nicht die Summe unserer Gedanken? Ich möchte es mal so ausdrücken: Wir sind die Gesamtheit dessen, was ist, wenn wir einfach nur sind. Wenn wir einfach nur aufgehen im gegenwärtigen Moment.
Zu den Kapiteln:
In einem kleinen Zen-Kloster, tief in den Bergen Japans, lebte ein weiser alter Zen-Meister namens Hakuin. Jeden Tag praktizierte er Zazen, das stille Sitzen, und lehrte seine Schüler die Kunst der Meditation. Einer seiner Schüler, ein junger Mönch namens Daichi, kämpfte oft mit rastlosen Gedanken und innerer Unruhe.
Eines Morgens, nach einer besonders unruhigen Nacht, ging Daichi zu Meister Hakuin und sagte: "Meister, ich verstehe die Meditation nicht. Ich sitze still, aber mein Geist ist wie ein tobender Sturm. Wie kann ich ihn zur Ruhe bringen?"
Meister Hakuin lächelte weise und antwortete: "Daichi, komm mit mir."
Er führte Daichi zu einem kleinen Teich hinter dem Kloster. Der Teich war normalerweise klar und ruhig, doch an diesem Tag war er aufgewühlt und trüb, weil ein Sturm in der Nacht das Wasser durcheinandergebracht hatte.
Meister Hakuin sagte: "Schau auf das Wasser, Daichi. Es ist aufgewühlt und trüb, genauso wie dein Geist. Aber was passiert, wenn wir einfach nur still am Ufer sitzen und warten?"
Daichi setzte sich neben den Meister und sie schwiegen beide. Minuten vergingen, dann eine Stunde. Allmählich begannen sich die Schwebstoffe im Wasser zu setzen, und der Teich wurde klarer und klarer. Schließlich spiegelte sich der Himmel ruhig im stillen Wasser.
Meister Hakuin sprach: "Siehst du, Daichi? So ist es auch mit deinem Geist. Wenn du still sitzt und geduldig bist, setzt sich der Sturm deiner Gedanken von selbst. Die Klarheit und Ruhe kommen nicht durch Zwang, sondern durch das einfache Sein. So bringt Zazen den Geist zur Ruhe."
Daichi verstand nun. Er bedankte sich bei Meister Hakuin und kehrte zu seiner Meditation zurück, diesmal mit einer neuen Erkenntnis und einem Herzen voller Frieden. Mit der Zeit lernte er, dass die wahre Stille nicht das Fehlen von Gedanken ist, sondern das Annehmen und Loslassen jedes Gedankens im Moment des Seins.
Und so fand Daichi, dass durch die einfache Praxis des Zazen, der Geist von selbst zur Ruhe kommt, wie das Wasser im Teich.
Es war einmal ein Zen-Schüler namens Hiroshi, der oft von seinen Emotionen überwältigt wurde. Besonders ärgerlich war es für ihn, dass er seine Wut und Frustration nicht kontrollieren konnte, was ihm im Alltag und im Umgang mit anderen Menschen immer wieder Probleme bereitete. Eines Tages beschloss er, seinen Meister, Zen-Meister Akira, um Rat zu fragen.
Hiroshi fand den Meister in seinem Garten, wo er gerade die Pflanzen pflegte. „Meister Akira,“ begann Hiroshi, „ich komme nicht mit meinen Emotionen zurecht. Sie überwältigen mich und ich fühle mich ihnen ausgeliefert. Was soll ich tun?“
Meister Akira lächelte und sagte: „Komm mit, Hiroshi.“ Sie gingen zusammen in den Garten, wo eine alte, mächtige Eiche stand. „Betrachte diesen Baum,“ sagte Meister Akira. „Was siehst du?“
„Ich sehe eine starke Eiche, die fest verwurzelt ist,“ antwortete Hiroshi.
„Stell dir nun vor, dass ein starker Sturm aufzieht,“ sagte der Meister. „Was passiert mit den Blättern und Ästen des Baumes?“
Hiroshi dachte nach und sagte: „Die Blätter und Äste werden vom Wind hin- und hergeworfen. Aber der Baum bleibt fest verwurzelt.“
„Genau,“ sagte Meister Akira. „Deine Emotionen sind wie der Wind, der die Blätter und Äste bewegt. Aber dein wahres Selbst ist wie der Stamm des Baumes, fest verwurzelt und beständig. Wenn du dich auf deine Wurzeln konzentrierst und deinen inneren Frieden findest, können die Winde der Emotionen dich nicht so leicht erschüttern.“
„Aber wie kann ich lernen, mich auf meine Wurzeln zu konzentrieren?“ fragte Hiroshi.
„Durch Achtsamkeit und Meditation,“ erklärte Meister Akira. „Setz dich täglich in Stille und beobachte deine Gedanken und Gefühle, ohne sie zu bewerten oder zu bekämpfen. Sei dir ihrer bewusst, wie du dir des Windes bewusst bist. Atme tief und ruhig. Akzeptiere, dass sie da sind, aber erkenne auch, dass sie vorübergehen. So wie der Baum trotz des Sturms fest bleibt, so wirst auch du lernen, trotz deiner Emotionen ruhig zu bleiben.“
Hiroshi begann, die Ratschläge seines Meisters in die Tat umzusetzen. Jeden Morgen und Abend setzte er sich in Meditation und beobachtete seine Gedanken und Gefühle. Anfänglich war es schwierig, doch nach und nach bemerkte er, dass seine Emotionen an Macht verloren. Er fühlte sich weniger von ihnen beherrscht und mehr in der Lage, sie zu akzeptieren und loszulassen.
Eines Tages, als Hiroshi wieder einmal meditierte, spürte er eine Welle von Ärger aufsteigen. Statt dagegen anzukämpfen, erkannte er sie einfach als das, was sie war – eine vorübergehende Regung seines Geistes. Er atmete tief und ließ die Wut wie den Wind an sich vorbeiziehen. Zum ersten Mal fühlte er sich frei von ihren Fesseln.
Als Hiroshi seinen Meister erneut traf, bedankte er sich. „Meister Akira, dank Ihrer Anleitung habe ich gelernt, meine Emotionen zu akzeptieren und nicht von ihnen überwältigt zu werden. Mein Geist ist ruhiger geworden.“
Meister Akira lächelte weise. „Denke daran, Hiroshi, dass dies ein fortlaufender Prozess ist. So wie der Wind immer wieder die Äste und Blätter bewegt, so wirst auch du immer wieder Emotionen erleben. Aber mit Achtsamkeit und Akzeptanz kannst du lernen, fest verwurzelt zu bleiben und die Stürme des Lebens mit Gelassenheit zu ertragen.“
Und so setzte Hiroshi seine Zen-Praxis fort und fand immer mehr Frieden in seinem Inneren, indem er die Stürme seiner Emotionen mit Akzeptanz und Gelassenheit begegnete.